Die Essenz des Gesamtwerkes-Vorwort eines ficktiven Romans
Y. sitzt in der S-Bahn, Y. trägt eine schwarze, am linken Knie durchlöcherte lange Sporthose,
Stiefel mit Stahlkappen und Schrauben in den Sohlen. Erkältungsbedingt darunter eine lange Baumwollunterhose, dicke Socken.
Aber darum geht es jetzt nicht wirklich. Vielleicht geht es darum, dass die gelbe, teilweise zu lamettenartiger Struktur gestanzte Verkleidung der Decke des S-Bahn Waggons Y. so unglaublich fremd vorkommt, wie von einer anderen Welt, als ob es nichts mit dem zu tun hat, was man Alltag nennen kann, wenn man möchte.
Vielleicht geht es aber auch darum, wo Y. umsteigen muss, oder darum, wie und ob Y. das Geld verdient, mit dem die Miete bezahlt und das Essen eingekauft wird.
Vielleicht geht es auch darum, welchen Schulabschluss Y. hat, ob dass, womit sich Y. gerade beschäftigt, einen Mehrwert hat für die Gesellschaft, ob es eine Zukunftsperspektive und Jobaussichten für Y. bietet, ob es als vernünftige Beschäftigung anzusehen ist.
Vielleicht geht es auch um ganz andere Dinge, sensorisches, wie den schwachen Geruch
nach Essen, den jemand in die S-Bahn getragen hat (vielleicht Hefe, warme Tomatenpassata und Schmelzkäse, also Pizza?), oder haptisches, die glatten Kunstfasern von Y. Hose, oder die weiche, aber auch ein bisschen kratzige Mischung des 70 % Wolle 30 % Polyester Mantels des Alten zwei Sitze weiter, von dem Y. nur den Kragen und die linke Schulter sehen kann, weil eine junge Person mit langen, dunklen, krausen, zu einem Pferdeschwanz zusammengefassten Haaren dazwischen sitzt.
Vielleicht geht es auch um alles das, und um alles Andere auch, oder vielmehr darum, von was wir erzählen wollen.
Wollen wir von Y. Erzählen, und davon, dass es schön ist, Nachmittags an der offenen Balkontür Tee zu trinken, zu lesen und Zeit zu haben ? Oder davon dass X. es schwer findet, für das einzustehen, was eigentlich vermutlich richtig wäre? Weil es immer so leicht ist, Gegenbeispiele zu finden, Informationen über fehlgeschlagenes Angagement, über Veruntreuung von Geldern, oder lächerliche Aktionen? Über Illegalität, Verurteilungen nach G20 (und so wenige verurteilte Polizeibeamt*innen), darüber dass Zivile Seenotrettung im Mittelmeer der Europäischen Gemeinschaft auch nicht hilft, sondern unter Umständen zur Spaltung der Gemeinschaft beiträgt?
Übrigens trinkt auch X. gern Kaffee und riecht dabei die Herbstluft, und wir können auch erzählen, wie gern X. und Y. sich treffen, und dass sie sich dann manchmal Küssen, und was sonst noch so passiert.
Warum zum Beispiel Bettdecken manchmal besser nicht neu bezogen werden, bevor man Besuch bekommt.
Es gibt natürlich vieles worüber es sich lohnt zu schreiben und nachzudenken. Zum Beispiel ob man Unterlegscheiben an seinen Ohrring hängen kann um sein Ohrloch zu dehnen, oder ob das vielleicht keinen Sinn ergibt.
Das wichtige ist, dass wir davon erzählen, weil es sonst vielleicht fast nie existiert hat, in all diesem Wust von Information, Narativen und Paradigmen.
Aber ich will das schöne Leben jetzt. Und damit ich das nicht vergesse, erzähle ich euch vielleicht ein bisschen davon.
Liebst,
P.